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Veränderungen

Die menschliche Leidensfähigkeit ist enorm. Der Wille, etwas zu verändern, nicht. Der Mensch ist faul, wenn er zu viel tut. Und er kann fleißig sein, wenn er nichts tut.
Am Montag war es endlich so weit. Wir sind zu Raimund Pucher gefahren. Wir, das sind Claus und ich. Claus hat mich dankenswerterweise begleitet. Ursprünglich wollte ich ja alleine fahren, aber dann hat es sich so ergeben. Das war auch gut so. Wir haben vieles besprochen während der an sich langen Fahrt, die aber dann sehr kurzweilig war. Zum Beispiel über Vorstellung und Wirklichkeit. Und über das Loslassen.
Die Vorstellung hindert die meisten Menschen, erfolgreich zu sein. Die Wirklichkeit zeigt dann, dass es anders besser ist. Daher ist es gut, die Vorstellung loszulassen, um zu sehen, was wirklich ist. Die Vorstellung ist eine Form der Faulheit.
Es stellt sich nicht die Frage, warum ich zu Raimund Pucher gefahren bin, sondern warum ich nicht früher zu Raimund Pucher gefahren bin. Die Frage ist schnell beantwortet: Weil ich zu faul war. Warum was ändern. Es geht ja e so auch ganz gut. Und überhaupt, die weite Fahrt und und und…..
Wer ist Raimund Pucher? Ist Raimund Pucher ein Guru oder schraubt er nur am Rad herum, bis man bequemer sitzt? Keines der beiden Extreme wird der Frage gerecht. Um Raimund Puchers Arbeit zu verstehen muss man sich selbst verstehen. Und da sind wir wieder beim Konflikt zwischen Vorstellung und Wirklichkeit.
Raimund Pucher hat zu Beginn beiläufig gesagt, er stelle keine Räder ein, sondern Körper. Raimund Pucher spricht in der „Wir“-Form, er bezieht Dich in den Änderungsprozess ein. Du stehst im Mittelpunkt, nicht das Rad. Er „zwingt“ dich zum Mitdenken und es nicht nicht leicht, ihm zu folgen. Ich bin immer ein paar Schritte hinten nachgelaufen, ein paar Sachen hab ich überhaupt nicht verstanden. Das macht nichts. Bei Raimund Pucher lernt der Körper, nicht der Intellekt. Du sollst spüren, was passiert. Bei Raimund Pucher gibt es kein schematisches Einstellen nach einer Tabelle oder einem Lehrbuch, so wie es die meisten Radläden praktizieren. Raimund Pucher praktiziert das, was man landläufig als sogenanntes „implizites Wissen“ bezeichnet, ein Wissen, das nicht durch Lehrbücher, Studien oder Kurse vermittelt werden kann, dieses Wissen aber trotzdem zu einem nicht unbeachtlichen Grad voraussetzt. Und Raimund Pucher weiß viel über Biomechanik, Medizin etc.. Was aber sein Wissen ausmacht, ist die Erfahrung in der Anwendung und sein Einlassen auf die konkrete Person, die vor ihm steht. Was für mich richtig ist, kann zum Beispiel für Claus das Falsche sein.
Ich sitze auf meinem Kalibur, dass in der Zwischenzeit schon auf Raimunds Walze eingespannt worden ist. Vorher hat Raimund noch einen guten Espresso gemacht. Der hat gut getan, nachdem mich Claus mit Schokokeksen abgefüttert hat.
Ich bin aufgeregt und steige vorsichtig aufs Rad. Auf so einer Walze bin ich noch nie gesessen. Dann muss ich fahren. Zu dem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass sich Raimund Pucher fast viereinhalb Stunden mit mir beschäftigen wird. „Einfach zuhören“ steht auf seiner Homepage und es stimmt.
Ich fahre. Raimund nimmt dann plötzlich die Gabel in die Hand und hebt mich in einen Winkel von fast 45 Grad. Ich rutsche nach hinten ab und kann mich gerade noch halten. Raimunds Diagnose. Ich sitze bzw ruhe nicht auf dem Rad. Es ist viel zu viel Unruhe drin, ich arbeite zu viel mit dem Oberkörper, wo Energie verloren geht. Und in den Oberschenkeln kann ich die Spannung nicht halten, wobei auch einige Watt verloren gehen. So hab ich es verstanden. Aber ich hab viel nicht verstanden. Raimund sagte am Schluss, ich solle die neue Position jetzt langsam lernen. Das heute ist erst der Anfang.
Die neue Position. Raimund schraubt stundenlang an meinem Rad herum, ich steige auf, fahre, steige ab, Raimund macht Fotos und Videos, ich steige wieder auf, fahre…..Es ist anstrengend. Oft kann ich nicht folgen, spüre gar nichts mehr.
An meinem Rad ist nichts mehr so wie vorher. Ich möchte das hier gar nicht beschreiben, Ihr werdet es selbst sehen. Der Sattel ist wieder einen cm rein, der Lenker vorne höher und die Röhrln ganz eng beieinander, so wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Raimund hebt mich wieder in einem Winkel von fast 45 Grad auf – und ich sitze, ich ruhe, ich kann weiterfahren, muss mich fast nicht mehr festhalten. Ich bin fast schon ein bisschen überfordert, aber das überrascht mich. Vielleicht versteh ich es in den nächsten Wochen. Wichtig ist aber nur, dass es ist!
Raimund arbeitet sich Schritt für Schritt vor. Es wird alles fotografiert und notiert. Er kennt keine Zeit, schaut nie auf die Uhr, hat keinen Druck. Kein „Patient“ wartet im Wartezimmer, er sagt, er könne nur zwei Körper am Tag einstellen, mehr geht nicht, er sehe dann nichts mehr. Raimund Pucher ist ein Homöopath.
Dann bekomme ich noch Einlagen. Selbstzugeschnittene Kartonstücke, die in den Schuh eingeklebt werden. Den Sinn kann ich auch nur erahnen. Raimund Pucher erklärt alles, ich habe aber nicht immer nachgefragt, da ich die Änderungen körperlich erleben will und nicht wieder nur die vom Geist hervorgerufene Vorstellung von der Änderung. Ich will spüren, ob die Änderung wirklich ist. Darum akzeptiere ich auch, dass ich vieles nicht verstanden habe.
Es ist fast 18.00 Uhr. Vier Stunden sind Claus und ich jetzt da. Ich fahre endlich draußen. Schon auf den ersten Metern  spüre ich: die Änderungen sind wirklich. Ich liege vorne ruhig auf, der Oberkörper „arbeitet“ nichtmehr mit. Die Muskelspannung bleibt, ich spüre, dass der Tritt runder und gleichmäßiger ist. Ich fühle mich wohl in der Aeroposition.
Um halb sieben nehmen wir Abschied. Bei der Heimfahrt verfahre ich mich in Graz. In meinem Kopf wurlt es ganz schön.
Mit einem Dankeschön an Raimund Pucher,
Euer Christian Schweighofer

Quelle: Campus Linz Sektion Leichtathletik/Triathlon

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